"Heute hier, morgen dort"
Diakon Thomas Keller verabschiedet sich in den Ruhestand
Im Januar wird Diakon Thomas Keller nicht mehr in den Gemeinden in Wolfsburg und Gifhorn unterwegs sein. Sein Ruhestand beginnt. In einem persönlichen Text schaut er auf seine Erfahrungen in der katholischen Kirche und auf seinen Dienst in Wolfsburg und Gifhorn zurück.
„Heute hier, morgen dort….“, so beginnt ein Lied von Hannes Wader, das er Anfang der 70er Jahre geschrieben hat. Es war die Zeit meiner Jugend und es hat mich durchaus geprägt.
Ich komme aus einer Generation, in der der Begriff „Heimat“, wenn er denn überhaupt noch benutzt wurde, eine neue Bedeutung erhielt. Der 2. Weltkrieg war ja so lange noch nicht her und die Zeit, da mit dem Begriff Heimat viel Missbrauch getrieben wurde. Gleichzeitig sehnte sich die ältere Generation, die diesen Krieg noch miterlebt hatte, nach einer sicheren und beständigen Heimat.
In der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin, hatte es über Jahrhunderte praktisch keine Katholiken gegeben, es war evangelisches Territorium und meine Mutter war natürlich evangelisch. An eine ökumenische Trauung war damals nicht zu denken. Meine Mutter wurde also katholisch, und das war sie dann aber auch mit Herz und Seele.
Und beide Eltern beteiligten sich am Aufbau der katholischen Gemeinde in unserer Stadt. Viele Flüchtlinge und Aussiedler fanden sich als Katholiken zusammen. Man verstand Gemeinde damals als so etwas wie Familie, wie ein zu Hause. Das war nicht nur bei uns so, das war eigentlich die Grundlage der Seelsorge in damaliger Zeit. Man baute nicht mehr nur Kirchen, sondern Gemeinderäume, Begegnungszentren, Jugendhäuser, Altenheime und Kindergärten. Kolpingfamilien blühten auf und der Gemeindefasching, das Gemeindefest, die Gemeindewallfahrt… all das hatte Hochkonjunktur.
Meine Eltern nähten zu Hause wochenlang Kniekissen für die Kirche, als Ärzte konnten sie es sich leisten, Vortragekreuz und anderes für die Kirche zu spenden und selbstverständlich war mein Vater im Kirchenvorstand und Pfarrgemeinderat. Es war ihre heile Welt.
Wir Kinder dachten damals schon etwas anders: Natürlich war die katholische Jugendgruppe unser zu Hause, wo uns die Eltern viel mehr Freiheiten
ließen als anderswo. Und es war wohltuend - in der damaligen DDR - wo man sonst auf jedes Wort achten musste, einen Raum zu haben, in dem man frei reden konnte. Aber diesen Raum erweiterten wir. Wir trafen uns mit anderen Jugendgruppen: aus der Umgebung, mit evangelischen Jugendgruppen, mit Jugendlichen aus Polen, Ungarn… Die eine und einzige Heimatkirche, die unseren Eltern Sicherheit und Geborgenheit bot, wurde uns zu eng, wir sehnten uns nach der Weite der Welt.
Und diese Weite der Welt kam dann - schneller als man dachte - spätestens mit der Wiedervereinigung. Bis dahin war die Kirche der DDR noch fast so etwas wie eine heile Familie. Fast jeder kannte jeden, Gespräche mit einem Bischof waren unkompliziert und man war sich sicher, in der Kirche kann es nur Gutes geben.
Diese Sicherheit ist nun weg. Skandale erschüttern unsere Kirche immer wieder. Gemeinden wurden zunächst zusammengelegt und dann in Großräumen zusammengefasst. Längst hat nicht mehr jede Gemeinde „ihren“ Pfarrer.
Und als eine Familie verstehen sich die meisten Gemeinden längst nicht mehr. Man geht da in die Kirche, wo einem die Predigt anspricht, oder die Gottesdienstgestaltung gefällt oder man geht eh nur zu Weihnachten. Kirche ist ein Angebot unter vielen geworden, das man dann nutzt, wenn man es gerade mal braucht (z.B. zu Taufe, Erstkommunion, Trauung, Beerdigung). Die Globalisierung hat die Welt verändert, ob wir das nun gut finden oder nicht.
Sicherlich, diese Darstellung der Kirche heute ist etwas einseitig. Es gibt sie noch, die Menschen, die sich ganz und gar in ihrer Gemeinde engagieren und die immer zur Stelle sind. Viele unserer Gemeinden leben geradezu davon, dass es solche Menschen gibt. Lokale Leitungsteams haben vieles übernommen, was früher Hauptamtliche als ihre Aufgabe hatten. Und gerade aus diesen Reihen gab es zu Corona-Zeiten auch viele Ideen, wie und wo man sich als Kirche engagieren und einbringen kann. Dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Ökumene ist zum Glück zu einer Selbstverständlichkeit geworden.
Aktionen über Gemeindegrenzen hinweg haben viele bewegt, z.B. Himmelszelt oder zuletzt die „Nacht der Kirchen“. Die große Solidarität mit den Menschen in der Ukraine ist in Wolfsburg zu einem Zeichen christlicher Solidarität geworden.
Und doch war mir in den zehn Jahren, die ich im „Großraum Gifhorn-Wolfsburg“ unterwegs war, dieser Großraum immer etwas zu groß und die Unterschiede zu vielfältig. Dankbar bin ich deshalb dafür, dass ich in St. Michael dabei doch noch so ein wenig „zu-Hause-sein“ spüren durfte.
Ich gehöre halt zu der Generation, die jetzt in den Ruhestand geht. So verabschiede ich mich in selbigen mit den Worten von Hannes Wader:
„Dass man mich kaum vermisst,
schon nach Tagen vergisst,
wenn ich längst wieder anderswo bin,
stört und kümmert mich nicht,
vielleicht bleibt mein Gesicht
doch dem Ein` oder Andern im Sinn.“
Den Menschen in den Gemeinden des Großraums wünsche ich von ganzem Herzen Gottes Segen und seinen Beistand auf dem weiteren Weg.
Diakon Thomas Keller